Nikolaus Fecht

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In Stuttgart trifft sich die Schleif-Community

Während der erstmals stattfindenden GrindingHub in Stuttgart führen Spitzenforschung und Hightech-Industrie einen intensiven Dialog. Der Stellenwert der Schleiftechnik im Maschinenbau ist hoch, erklärt Dr. Sebastian Barth, Oberingenieur und Abteilungsleiter für Technologieplanung und Schleiftechnik am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen. Gemeinsam mit Prof. Berend Denkena, geschäftsführender Leiter des Instituts für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) der Leibniz Universität Hannover und Sprecher des Präsidialausschusses der WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik), erläutert Barth die Notwendigkeit des fachlichen Austauschs zwischen Forschung und Industrie. Stuttgart wird vom 17. bis 20. Mai zum internationalen Drehkreuz für Schleiftechnologie und Superfinishing. 2020 hat die Branche in Deutschland Maschinen im Wert von 870 Millionen Euro produziert. Fast 80 Prozent davon gingen in den Export, etwa die Hälfte nach Europa. Die größten Absatzmärkte sind China, die USA und Frankreich. Unter den Top-Produzenten führen Deutschland, Japan und die Schweiz die Weltrangliste an. Weltweit produzierte die Schleiftechnik 2019 Maschinen im Wert von 4,9 Milliarden Euro.

Was motiviert Hochschulinstitute zur Teilnahme an einem Sonderausstellungsbereich während einer Fachmesse?

Barth: Sehr wichtig ist für uns der fachliche Austausch zwischen Spitzenforschung und Hightech-Industrie. Der Gemeinschaftsstand GrindingSolutionPark bietet eine gute Gelegenheit zum Gespräch darüber, wie unsere aktuelle Forschung im industriellen Umfeld umgesetzt werden kann. Besonders motiviert mein Team und mich die Chance, in Stuttgart die aktuellen Herausforderungen in der Industrie zu diskutieren, damit wir zielorientiert forschen können.

Denkena: Uns motivierte die Möglichkeit, durch Kontakte zu Unternehmen Potenziale zukünftiger Forschungsthemen und Möglichkeiten zur Vernetzung von Wissenschaft und Industrie ausfindig zu machen. Eine gute Gelegenheit ergibt sich dabei im Gespräch mit Firmenvertretern, wenn wir ihnen unsere aktuellen Forschungsprojekte, Innovationen und Kooperationsmöglichkeiten vorstellen.

Welchen Stellenwert besitzt für Sie die Technologie Schleifen?

Barth: Der Stellenwert ist hoch, da diese Technologie in vielen Prozessketten oft die abschließenden Funktionseigenschaften der Bauteile maßgeblich oder gar vollständig bestimmt. Das WZL besitzt langjährige Expertise beim Flach- und Profilschleifen, Werkzeugschleifen, Außenrundschleifen – zwischen Spitzen und spitzenlos – sowie beim Fliehkraft- und Strömungsschleifen und dem robotergeführten Gleitschleifen. Vier Schwerpunktthemen stehen im Mittelpunkt: wirtschaftliche Bearbeitung von innovativen Werkstoffen, zielgerichtete und ganzheitliche Prozessauslegung und -optimierung sowie Digitalisierung von Schleifprozessen mit Sensorik und cleveren Algorithmen.

Denkena: Es ist ein langjährig und stetig gewachsenes Kernthema am IFW. Das spiegelt sich auch in der personellen Ausstattung: 15 wissenschaftliche Mitarbeitende arbeiten in der Schleiftechnologie, das ist mittlerweile die größte Arbeitsgruppe. Die Themen reichen vom Werkzeug- und Trennschleifen über das Einsatzverhalten bis hin zur Herstellung der Schleifwerkzeuge. Eine durchgängige Digitalisierung des Schleifprozesses und der Herstellung von Schleifwerkzeugen spielt in unseren Forschungen eine wesentliche Rolle.

Welche Trends erkennt das IFW?

Denkena:: Gefragt sind vor allem energie- und ressourceneffiziente Prozesse – beispielsweise für die Schleifwerkzeugherstellung. Der Ansatz ist, Sinterprozesse energieoptimal auszulegen. Das Geheimnis: Wir passen energieintensive Sinterstellgrößen wie Haltezeit oder Aufheizrate an, ohne die Schleifbelagseigenschaften zu verändern.

Auch additive Herstellprozesse kommen bei uns zum Einsatz: Das IFW legt Werkzeuge mit Hilfe der Simulation deterministisch aus, damit die spätere 3D-gedruckte Gestalt exakt den Konstruktionsvorgaben entspricht. Wie es in der Praxis funktioniert, demonstrieren wir am Anwendungsbeispiel. Für Experten: Es handelt sich um Setzmusterschleifperlen für das Seilschleifen.

Wesentlich bei der Digitalisierung des gesamten Herstellprozesses ist die Simulation. Anhand von Schleifwerkzeugen zeigen wir in Stuttgart, wie sich die Herstellung durch Simulation der vollständigen Prozesskette flexibilisieren und optimieren lässt.

Auch bei Detailfragen setzen wir auf Digitalisierung. Ein typisches Problem beim Werkzeugschleifen ist die so genannte Abdrängung. Prozesskräfte drängen das zu fertigende Werkzeug ab und senken so die erreichbare Genauigkeit. Besucher erfahren, wie sich die Abdrängung beim Werkzeugschleifen durch intelligente Prozessplanung und den Einsatz einer mit Sensoren ausgestatteten Schleifspindel ausgleichen lässt. Dem IFW gelang es im Zusammenspiel mit der Werkzeugmaschinenindustrie, die Genauigkeit signifikant zu steigern.

Wie beurteilt das WZL die Rolle der Digitalisierung?

Barth: Die Digitalisierung spielt mittlerweile in vielen Bereichen der Schleiftechnik eine große Rolle. Aktuell gefragt ist nicht nur die datenbasierende manuelle Optimierung des Einzelprozesses Schleifen. Zunehmend beobachte ich, dass industrielle Anwender den Einsatz von Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) planen, um das Ergebnis eines Prozesses vorherzusagen und Qualitätsschwankungen zu reduzieren. Mit KI-Werkzeugen lässt sich außerdem die vorausschauende Wartung von Schleifmaschinen, Stichwort Predictive Maintenance, realisieren. Auch der Digitale Zwilling ist für die Branche kein Fremdwort, bietet er doch das Potenzial, Produkte und Schleifprozesse durch die Kombination von Prozessdaten und wissenschaftlichen Modellen noch besser bewertbar und zertifizierbar zu machen. Eine zukünftig engere Kooperation zwischen Industrie und Forschungseinrichtungen wird helfen, dieses Potenzial schnellstmöglich für die Schleiftechnik in Deutschland zu heben.

Welche weiteren Trends haben Sie im Fokus?

Barth: Die Bandbreite reicht von der Herstellung anwendungs- und funktionsoptimierter Oberflächen bis hin zur Bearbeitung innovativer und schwer zerspanbarer Werkstoffe wie faserverstärkte Hochleistungskeramiken (CMCs) oder nano-polykristalline Schneidstoffe. Ein weiterer, sehr wichtiger Schwerpunkt ist die ganzheitliche Betrachtung von Prozessketten, bei denen die Schleiftechnik oftmals eine entscheidende Rolle einnimmt. Die Prozessketten lassen sich nämlich nur dann ganzheitlich optimieren, wenn auch Auswirkungen der Schleiftechnik auf die anderen, meist vorgelagerten Fertigungsverfahren berücksichtigt werden. Zu all diese Themen zeigt das WZL während der GrindingHub aktuelle Ansätze für die Produktion.

Wie kann die Schleiftechnik die Nachhaltigkeit erhöhen?

Barth: Zielführend ist die Kombination verschiedener Optionen – etwa durch den Einsatz biobasierender Kühlschmierstoffe, datengestützte, optimierte ganzheitliche Prozess-, Prozessketten- und Werkzeugauslegung oder Schulung der Mitarbeiter. Zu allen Bereichen verfügen wir über die entsprechende Expertise am WZL.

Und was wollen Sie sich während der GrindingHub ansehen?

Barth: Gespannt bin ich auf Maschineninnovationen, neue Werkzeugtrends und Kühlschmierstofflösungen sowie die Forschungshighlights des GrindingSolutionParks. Besonders freue ich mich natürlich auf das Treffen mit der Community der Schleiftagung, das wir im Rahmen der GrindingHub nachholen. Die Kooperation zwischen der GrindingHub und der Schleiftagung, die wir seit diesem Jahr übernommen haben, bietet optimale Voraussetzungen. Die Partnerschaft vereint die Stärken der Hightech-Industrie und Spitzenforschung im Bereich der Schleiftechnik in Deutschland, um gemeinsam auf aktuelle und kommende Herausforderungen zu reagieren.

Denkena: Ich habe einen ähnlichen Fokus wie mein Aachener Kollege. Neben Innovationen bei Werkzeugen interessieren mich die Innovationen bei den Werkzeugmaschinen, beispielsweise Lösungen zur Komplettbearbeitung und der Automatisierung. Ich sehe mir auch den aktuellen Stand der Technik beim Lasern zur Werkzeugherstellung an wie bei der Bearbeitung von ultraharten Schneidkanten.

Das Interview führte der Gelsenkirchener Journalist Nikolaus Fecht.

Kontakt

Gerda Kneifel

Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken
Frankfurt am Main
Tel. +49 69 756081-32
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Dr. Sebastian Barth

Abteilungsleiter für Technologieplanung und Schleiftechnik Campus-Boulevard 30
Werkzeugmaschinenlabor RWTH Aachen
Aachen
Tel. +49 241 80-28183
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Prof. Dr.-Ing. Berend Denkena

Geschäftsführende Leitung
Sprecher des Präsidialausschusses der WGP (Wissenschaftliche Gesellschaft für Produktionstechnik)
Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen
Leibniz Universität Hannover
Garbsen
Tel. +49 511 762-2553
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Nikolaus Fecht

Freier Journalist
Gelsenkirchen
Tel. +49 209 26575
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