Heiko Semrau

Verband Deutscher Werkzeug- und Formenbauer

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Der Werkzeugmacher wird zum
umfassenden Entwicklungsdienstleister

Die Digitalisierung im Werkzeugbau ist schon fortgeschritten. Derzeit gibt es jedoch noch viele Insellösungen, die miteinander verbunden werden müssen. Die Herausforderungen im Werkzeug- und Formenbau aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung erläuterte Heiko Semrau im Gespräch mit Georg Dlugosch, dem Chefredakteur des IndustryArena eMagazines, wie mehr Varianten in kleineren Serien gefertigt werden können. Der Technik-Geschäftsführer des Verbands Deutscher Werkzeug- und Formenbauer (VDWF) sieht den Trend zu variantenreicher und komplexer Produktionsverfahren, die kleinere Serien mit komplizierteren Werkzeugen herstellen.

Digitalisierung bewegt auch den Werkzeug- und Formenbau. Wie setzen die mittelständischen Unternehmen das Thema in die Praxis um?

Semrau: Die Digitalisierung ist im Werkzeug- und Formenbau schon sehr weit fortgeschritten, etabliert und allgegenwärtig. Es bestehen innerhalb der Firmen viele Insellösungen, die es nun gilt quer zu vernetzen – die Herausforderung dabei ist, nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen und die Tragweite einer Quervernetzungsinvestition im Kosten-Nutzen-Sinn korrekt abzuschätzen. Genau dies gilt es, im Workshop „Werkzeugbau 4.0“ mit Jens Lüdtke im Rahmen der Moulding Expo zu ergründen. Vorhandene Lösungen nutzen, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eruieren, die Ergebnisse auf das eigene Unternehmen in Entscheidungen übertragen. Ergo: Die Software muss der Hardware folgen. Der Werkzeugmacher macht die Präzision unter Zuhilfenahme von Software – nicht umgekehrt.

Die Branche ist schon immer gut vernetzt. Welche Herausforderungen kommen dennoch auf die Unternehmen im Hinblick auf die stärkere Einbindung bei den Kunden zu?

Semrau: Der Kunde will immer mehr die All-in-one-Lösung – nach dem Motto „ein Werkzeugmacher löst alle meine Probleme“. Wobei die Problematik im bidirektionalen Dialog liegt. Hier reißt der Faden immer wieder, und der Einkäufer hat Erwartungen, die der Werkzeugmacher kopfschüttelnd quittiert – dasselbe gilt auch in die umgekehrte Richtung. Die Herausforderung besteht darin, die Wissensstände beider Parteien zu synchronisieren. Einkäufer müssen mehr Wissen über die Praxis des „Entwicklungspartners Werkzeugmacher“ vermittelt bekommen, und der Werkzeugmacher muss sich öfter trauen, den Einkäufervorgaben zu widersprechen. Anleitung hierzu geben der Workshop „Formteilgerechtes Konstruieren“ von Dirk Falke und das BME-Einkäuferforum.

Losgröße 1 gehört zum täglichen Auftrag, aber wie geht man in Zukunft damit um und wie kann man die Automatisierung stärken?

Semrau: Die Tendenz der Zukunft ist: mehr Varianten, komplexere Designs und kleinere Ausbringungen. Das heißt: Mehr Werkzeuge, kompliziertere Werkzeuge, die weniger Teile zu produzieren haben. Die Rüstkosten und -zeiten steigen deutlich, wenn die Produktionsanlagen häufiger an individuelle Anforderungen angepasst werden müssen. Hier hilft Robotertechnik, Spannsysteme und Software. Immer zu beachten ist, dass die Intelligenz in der Planung liegt, nicht in den Soft- oder Hardware-„Knechten“. Kreativität ist gefragt. Durch Automatisierung Freiräume schaffen, um über – automatisierte – Abläufe nachzudenken. Über den Tellerrand schauen, in Fremdbranchen hineinschauen, um deren Lösungen auf die eigene Firma zu adaptieren oder die Anregungen kreativ zu diskutieren. Nichts ausschließen – „spinnen“ ist manchmal Pflicht. Und hier hilft es, die eigenen Mitarbeiter einzubinden – mit Prämien für Anregungen – und sich hellwach in die Vogelperspektive zu begeben, um von dort aus das Unternehmen und sich objektiv zu betrachten.

Welche technologischen Entwicklungen sind für die Formenbauer von besonderem Interesse?

Semrau: Die additive Fertigung ist in den Medien ein Trend-Thema, in unserer Branche jedoch seit rund 15 Jahren ein ganz normales Fertigungsverfahren wie das Fräsen oder das Erodieren. Der Trend, der sich abzeichnet, zeigt in die Richtung, dass es immer mehr hybride Verfahren geben wird, um Werkzeuge zu fertigen. Ein Umdenken ist daher notwendig, um in Zukunft eine Produktion ganzheitlich betrachten zu können.

Auf welche neuen Geschäftsmodelle kann man sich einstellen?

Semrau: Der Werkzeugmacher muss zum umfassenden Entwicklungsdienstleister werden: Nicht nur das Werkzeug, sondern auch die Peripherie und Verfahrenstechnik werden über den Werkzeugmacher bereitzustellen sein. Hierzu muss der Einkäufer wissen, dass ein frühzeitiges Einbinden des Werkzeugmachers schon zu spät ist. Schon beim Gedanken an ein neues Produkt sollte ein Werkzeugmacher ins Brainstorming eingebunden werden. Das beschleunigt die Time to Market, simplifiziert Prozesse und vermeidet unnötige Komplikationen.

Der Blick auf die Prozesskette muss ganzheitlich sein. Welche Fallen können Unternehmen vermeiden?

Semrau: Fallen sind dort, wo es Unverständnis für einen vernetzten Prozess gibt. „4.0“ kann auch abschrecken, weil der Begriff ganz unscharf sehr vieles enthalten kann. Daher arbeiten wir als Verband Deutscher Werkzeug- und Formenbauer mit Nachdruck daran, die vielen Worthülsen, die herumschwirren, endlich greifbar zu machen. Gerade für die kleinen Betriebe in Deutschland ist es wichtig, hier ohne Vorbehalte die ersten Schritte gehen zu können.

Titelbild: Messe Stuttgart

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