Gerrit Sames

Technische Hochschule Mittelhessen

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Forschung

Der Mittelstand braucht Fortschritte

Die Technologien für die Digitalisierung, insbesondere auch für die Unterstützung der Geschäftsprozesse, sind verfügbar. Sieht man von Fortschritten bei der Nutzung in Konzernen ab, muss leider festgestellt werden, dass insbesondere in den mittelständischen Unternehmen große Umsetzungsdefizite bestehen. Der Spagat zwischen technologischer Weiterentwicklung und der Anwendung in den Unternehmen vergrößert sich, unterstreicht die Untersuchung der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM).

Insbesondere für den Wirtschaftsstandort Deutschland ist das dramatisch. Denn: 72 Prozent der Industriebeschäftigten arbeiten in Unternehmen mit weniger als 1000 Mitarbeitern. Zurecht sind wir stolz auf die vielen Hidden Champions des Mittelstandes. Jedoch kann der wirtschaftliche Erfolg von heute nur gesichert werden, wenn die Geschäftsprozesse konsequent durchdigitalisiert werden. Heutige Prozesse mit mannigfaltigen Medienbrüchen (Excel-Listen, nicht verknüpfte IT-Systeme) sind nicht nur langsam, sondern ineffizient und fehleranfällig.

Zu dieser Thematik ist von der THM eine Online-Befragung bei 868 Unternehmen vornehmlich im Mittelstand erfolgt; 155 Teilnehmer haben geantwortet. Insgesamt 41 Prozesse wurden aufgezeigt, für die Technologien und Lösungen bekannt und vorhanden sind. Im Kern lautete die Abfrage, in welchem Digitalisierungsgrad diese Geschäftsprozesse in den Unternehmen ablaufen. Dabei wurden die Stufen 1 (in keinem Maße), Stufe 2 (in geringem Maße), Stufe 3 (in erheblichem Maße) und Stufe 4 (weitestgehend durchgängig) als Antwortmöglichkeiten angeboten. Aus den Einstufungen wurden die Digitalisierungsgrade ermittelt.

Dies soll kurz am Beispiel Beschaffung erläutert werden. Dabei wurden insgesamt sechs einzelne Prozesse abgefragt und die Stufen erfasst. Das Ergebnis zeigt, dass bei einem Mittelwert von 2,18 der Digitalisierungsgrad der Beschaffung zwar am weitesten fortgeschritten ist, aber doch nur bei „in geringem Maße“ liegt.

Beschaffungsprozesse vorne

Schaut man sich die Rückmeldungen zum Bereich der Beschaffungsprozesse im Detail an, sieht man, dass noch erhebliches Ausbaupotenzial besteht. Während die Ermittlung der Bedarfe schon weit digitalisiert ist, gilt das nicht für die Umsetzung in Bestellungen. Dort wird noch in hohem Maße durch den Mitarbeiter eingegriffen. Das gilt auch für das Einpflegen von eingehenden Lieferantenrechnungen. Jedoch kann auch ein Digitalisierungsgrad mit einem Wert von 2,18 (von maximal 4,0) nicht als zufriedenstellend eingestuft werden.

Neben der Beschaffung weisen noch die Produktentwicklung und die Personalprozesse Werte oberhalb von 2,00 auf. Am unteren Ende der Digitalisierung rangieren die Prozesse von Ausgangslogistik und Technik/Facility Management.

Bei den Personalprozessen gibt es Ansätze. Routineprozesse wie die Stellung von Urlaubsanträgen können schon in vielen Firmen digital erfolgen. Das Einpflegen von Personalstammdaten ist jedoch noch weitgehend Aufgabe von Sachbearbeitern in der Personalabteilung.

Digitalisierungsgrad der Geschäftsprozesse. Quelle: THM

Im Prozessbereich des Facility Managements ist auffallend, dass bei zwei Dritteln der Teilnehmer eine Anbindung der Maschinen oder Anlagen als Voraussetzung für das Condition Monitoring bereits realisiert ist. Eine Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) findet jedoch kaum statt. Auch die Beanspruchung von Condition Monitoring als Leistung des Lieferanten steht erst in den Anfängen, ebenso die Nutzung von Pay-per-Use-Modellen.

In der Ein- und Ausgangslogistik ist die Identifikation von Erzeugnissen mit Barcode-Scannern schon weit vorangeschritten, aber RFID-Systeme für mannlose Buchungsvorgänge stehen noch ganz am Anfang. Ebenso gilt das für die Produktion, wo noch großes Ausbaupotenzial für die Nutzung der Kommunikation von Bauteilen mit Maschinen vorhanden ist. In Marketing und Vertrieb gab es die Feststellung, dass e-Commerce-Möglichkeiten noch zu wenig erschlossen sind. Auch Produktkonfiguratoren stehen noch am Anfang.

Ausrüster für elektronische Baugruppen führend

Betrachtet man den Fortschritt in der Digitalisierung nach Branchen, dann ist festzustellen, dass Ausrüster für elektrische/elektronische Baugruppen und Produkte mit einem Digitalisierungsgrad von knapp 2 vorne liegen. 2 bedeutet nur, dass hier die Stufe 2 („in geringem Maße“) von 4 Stufen („weitest durchgängig“) erreicht wird. Abgeschlagen auf hinteren Rängen hingegen ist der Digitalisierungsgrad im Maschinen- und Anlagenbau mit einem Digitalisierungsgrad von 1,7. Im Detail liegt der Maschinenbau nur in den Geschäftsprozessen im Kundendienst vorne.

Digitalisierung bei größeren Unternehmen weiter

Nicht ganz unerwartet zeigte sich, dass der Digitalisierungsgrad bei größeren Unternehmen fortgeschrittener ist als bei kleineren Unternehmen. So liegt er bei Firmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern bei einem Wert von 2,31, bei Firmen mit weniger als zehn Mitarbeitern bei 1,44. Der Mittelwert liegt bei 1,82. Dennoch muss festgehalten werden, dass auch bei den größeren Firmen der Digitalisierungsgrad noch viel zu gering ist.

Sames, G., & Diener, A. (12/2018). Stand der Digitalisierung von Geschäftsprozessen zu Industrie 4.0 im Mittelstand - Ergebnisse einer Umfrage bei Unternehmen.

Die vollständige Studie kann kostenfrei abgerufen werden.

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Prof. Dr.-Ing. Gerrit Sames

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