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Sterne inspirieren
die Metallbearbeitung

Selbst Astrophysiker interessieren sich für die Metallbearbeitung. Sie haben eine Software für künstliche Intelligenz (KI) entwickelt, die statistische Analysemethoden der Astrophysik nutzt. Nach erfolgreichem Einsatz in der Türmontage bei einem deutschen Automobilhersteller wollen sie nun die Metallbearbeitung erobern. Im September bei der Leitmesse der Metallbearbeitung EMO Hannover hoffen sie, konkrete Anwendungsmöglichkeiten zu finden.

Der statistische Ansatz der Jungunternehmer Dr. Theo Steininger und Dr. Maksim Greiner, ehemalige Doktoranden des Max-Planck-Instituts für Astrophysik in Garching, erlaubt die Echtzeitauswertung von Zerspanvorgängen. Noch ist es Zukunftsmusik, denn zunächst war ein anderes Projekt an der Reihe. Die Automobilindustrie interessierte sich zuerst für die Methodik. Dort wurde zum Beispiel ein KI-System gesucht, mit dessen Hilfe sich Türen genauer und prozessstabiler montieren lassen, um teure Nacharbeit zu reduzieren.

Bestimmung der Endposition

Die Aufgabenstellung schildert ein Whitepaper der beiden Ex-Wissenschaftler: „Die Bestimmung der besten Montageposition für eine Fahrzeugtür ist schwierig. Zum Zeitpunkt der Installation ist weder die Tür noch die Karosserie lackiert. Es fehlen Fenster, Zubehör und Dichtungen. Der Einfluss all dieser Faktoren auf die Türposition durch Verformung und zusätzliches Gewicht muss vorhergesehen und kompensiert werden, um schließlich die gewünschte Endposition zu erreichen. Daher müssen Mitarbeiter bisher die Türen nach der Montage stets manuell richten.“

Die Lösung der Astrophysiker, die in Garching das Unternehmen Erium GmbH gegründet haben, besteht in der Verknüpfung von maschineller Intelligenz mit dem Wissen und der Erfahrung von Prozessexperten. Mit diesen Zusatzinformationen berechnet die KI-Software die idealen Montagepositionen bereits nach dem Bau von nur wenigen Fahrzeugen.

Lohnt sich die Fräsbearbeitung in Grenzbereichen? Das Potenzial statistischer Methoden wird in der produzierenden Industrie nicht ausgeschöpft. Software für künstliche Intelligenz würde auch weiche Faktoren wie Kundenbeziehungen berücksichtigen. Fotos: EMO Hannover

„Eine wichtige Rolle spielt bei uns Machine Learning“, erklärt Steininger. „Das unterscheidet sich von den sehr flexiblen neuronalen Netzen, die gerade deshalb auch sehr viele Daten benötigen. Wir müssen mit sehr wenigen Daten klarkommen – im Gegensatz zu den sonst typischen Big-Data-Aufgabenstellungen, die sich mit viel technischem Aufwand und entsprechend schnell rechnenden High-Performance-Computern lösen lassen.“

Bei wenigen Daten sei der technische Aufwand vergleichsweise gering, aktuell reichen Laptops aus. Wesentlich höher sei der Aufwand bei den Algorithmen, die für den Prozess wichtige Daten in Echtzeit analysieren und aufbereiten. „Vor dem eigentlichen Software-Start analysieren wir das Problem mit den Experten des Kunden“, erläutert Steininger. „Zusammen definieren wir das Optimierungsziel und eben jene Prozessschritte, die es nachhaltig beeinflussen.“

Expertenwissen als Fundament

Dank dieser Expertengespräche lassen sich unwichtige Kennwerte ausschließen, die keine oder nur eine geringe Rolle spielen. So entsteht schrittweise ein klar definiertes Netzwerk an Abhängigkeiten, mit denen sich laut Steininger ein schnell arbeitender Algorithmus erstellen lässt.

„Wir abstrahieren und erklären dem Programm Tatsachen, die für den Experten völlig klar sind – etwa das Ohmsche Gesetz oder, dass eine Geschwindigkeit die Ableitung des Ortes nach der Zeit ist“, sagt der Astrophysiker. „Das sind für ein neuronales Netzwerk nicht-triviale Zusammenhänge, die es erst anhand der Daten erlernen muss.“

Im Gegensatz zu diesen leicht zu erkennenden Aussagen treten auch Fragestellungen auf, die Prozessexperten erst überprüfen müssen. Etwa, ob sich eine Autotür aufgrund eines neuartigen Dichtbandes wirklich in der Art verformt, wie sie es auf Basis ihrer Erfahrungen vorhersagen. „Wir unterscheiden uns mit unserer Herangehensweise von der gängigen Methode nach dem Prinzip: Gebt uns alle Daten und wir schauen mal, was sich damit anfangen lässt“, betont Steininger. „Wir stellen dagegen den Menschen in den Mittelpunkt, um sein Expertenwissen als Fundament der Analyse zu nutzen.“

Die Astrophysiker Theo Steininger (links) und Maksim Greiner suchen neue Anwendungsmöglichkeiten für eine Software für künstliche Intelligenz. Bild: EMO Hannover

Bisher kommt die Methode vor allem in der Automobilindustrie zum Einsatz, doch die Garchinger visieren jetzt das Zerspanen an. Es geht dabei zum Beispiel um Frässpindeln, deren Rotationsverhalten sich mit zunehmender Abnutzung verschlechtert. Die Spindeln geraten ins Schlingern, das je nach Art des Verschleißes unterschiedlich ausfällt.

Der Algorithmus der Astrophysiker könnte nun – angereichert mit Expertenwissen – den Einsatz der Spindel in Abhängigkeit vom Verschleißgrad optimieren. Steininger denkt noch einen Schritt weiter: „Spannend wird es bei der Frage, ob sich der höhere Spindelverschleiß beim Fahren in Grenzbereichen lohnt – weil ein Bauteil zum Beispiel in sehr kurzer Zeit gefertigt werden soll. Unser Programm würde dazu nicht nur die reinen Maschinenparameter, sondern auch weiche Faktoren wie Kundenbeziehungen berücksichtigen.“ Mit den Produktions- und Qualitätsdaten ihrer Kunden wäre die Antwort für die Garchinger nur eine Frage der Zeit.

Steininger wird auf der EMO Hannover am Start-up-Gemeinschaftsstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) vertreten sein. Er will sein Unternehmen der Branche präsentieren, sich aber auch über sehr komplexe und extrem schnelle, vom Menschen teilweise nicht mehr regelbare Prozesse informieren. Ihn interessiert besonders, inwieweit die Digitalisierungswelle fortgeschritten ist, eben weil ihr KI-Programm Produktions- und Qualitätsdaten benötigt.

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