
Titelinterview
Robotik wird mit KI zur Schlüsseltechnologie
Künstliche Intelligenz (KI) und digitale Zwillinge prägen zunehmend die Zukunft der Robotik. In dieser Entwicklung steht ABB an vorderster Front. Martin Kullmann, Leiter der Robotics-Division bei ABB, erklärt im Interview, wie generative KI die Bedienung von Robotern revolutioniert und besonders kleinen sowie mittelständischen Unternehmen neue Chancen eröffnet. Von autonom agierenden Robotern in komplexen Produktionsprozessen bis hin zu intelligenten Cobots und mobilen Robotern, die dank KI-gestützter Navigation und präziser Objekterkennung flexibel zusammenarbeiten: ABB gestaltet die Zukunft der Automatisierung mit innovativen Lösungen aus Nutzersicht und treibt die Industrie 4.0 aktiv voran. ABB bereitet derzeit die Ausgliederung seiner Robotics-Sparte vor, die im zweiten Quartal 2026 als eigenständiges, börsennotiertes Unternehmen an den Markt gehen wird.
Welche sind Ihrer Ansicht nach aktuell die wichtigsten Trends in der Robotik?
Kullmann:
Wo sehen Sie die technologischen Stärken von ABB?
Kullmann:
ABB gehört zu den Robotik-Pionieren und treibt die nächste Generation flexibler, intelligenter Roboterlösungen weiter voran. Ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal ist unser breites Portfolio – ergänzt durch leistungsfähige Planungs- und Steuerungssoftware sowie digitale Services. Unsere Roboter haben in den vergangenen Jahren durch KI-gestützte 3D-Vision-Technologie Augen, durch fortschrittliche Kraftsensoren und präzise Steuerung Hände und durch autonome Navigation Mobilität erhalten. In Zukunft verbinden wir diese Fähigkeiten noch stärker und gehen einen Schritt weiter.
Wir nennen unsere Vision ‚Autonomous Versatile Robotics‘. Sie kombiniert fortschrittliche KI-gestützte Bildverarbeitung, Präzision, Geschwindigkeit, Geschicklichkeit und Mobilität, um eine höhere Produktivität und Flexibilität zu erzielen. Diese Zukunftsvision baut dabei auf echten Innovationen und vielen bereits verfügbaren Technologien auf. Unsere Robotiklösungen sind und werden immer darauf ausgelegt sein, flexibel auf sich ändernde Produktionsanforderungen zu reagieren – etwa in der Elektronik-, Automobil-, Lebensmittel- oder Logistikbranche. So machen wir Robotik nicht nur leistungsfähig, sondern auch zugänglich – für Großunternehmen ebenso wie für Startups oder den Mittelstand.

Dank KI-gestützter Visual-SLAM-Navigation sind die autonomen mobilen Roboter (AMR) von ABB in der Lage, autonom in dynamischen Industrieumgebungen zu navigieren, ohne auf physische Führungen angewiesen zu sein. Fotos: ABB

Dank KI-gestützter Visual-SLAM-Navigation sind die autonomen mobilen Roboter (AMR) von ABB in der Lage, autonom in dynamischen Industrieumgebungen zu navigieren, ohne auf physische Führungen angewiesen zu sein. Fotos: ABB
Vermutlich wird ein Schwerpunkt auf die Entwicklung von künstlicher Intelligenz und digitalem Zwilling gelegt werden. Wo kann KI die ABB-Roboter unterstützen?
Kullmann:
Die analytische KI hat viele bahnbrechende Innovationen hervorgebracht. Generative KI setzt hier an. Sie wird die Bedienung von Robotern weiter vereinfachen. Zudem werden KI-Roboter in der Lage sein, mithilfe von Sprachbefehlen bestimmte Aufgaben auszuführen. Das ist insbesondere für Kleinunternehmen und Mittelständler interessant, die oftmals nicht über ein eignes Programmier-Know-how verfügen. Das Potenzial geht weit über die traditionelle Fertigung hinaus.
Bei ABB gehen wir die Produktentwicklung – auch in Sachen KI – stets aus Sicht des Nutzers an. So kommen unsere KI-gestützten Robotiklösungen bereits in unterschiedlichen Anwendungen und Branchen zum Einsatz. Dank KI können Roboter auch in unstrukturierten, dynamischen Umgebungen völlig autonom agieren. Ein Beispiel aus der Automobilindustrie. An der Karosserie eines Fahrzeugs müssen Tausende von Schweißpunkten verlässlich inspiziert werden, um die hohen Qualitätsstandards zu erreichen. Auf manuellem Wege könnte ein Kontrolleur etwa 85.000 Schweißpunkte pro Jahr überprüfen. Ein Roboter mit integrierter KI hingegen bewältigt mehr als 1,8 Millionen Prüfprozesse, was die Produktivität um den Faktor 20 steigert.
Weiterhin werden unsere kollaborativen Roboter, Cobots, dank KI-basierender Erkennung und Entscheidungsfindung noch flexibler und effizienter an der Seite von Menschen eingesetzt. Auch unsere Item-Picking-Lösungen sind KI-gestützt und dadurch in der Lage, unbekannte und zufällig angeordnete Artikel hochpräzise und ultraschnell zu handhaben. Ebenso profitieren unsere autonomen mobilen Roboter, AMR, von KI – insbesondere durch moderne Navigationsalgorithmen und Schlüsseltechnologien wie Visual SLAM, Simultaneous Localization and Mapping. Diese vereint KI mit 3D-Bildverarbeitung und ermöglicht es AMR, ihre Umgebung in Echtzeit zu erfassen, Hindernisse zu erkennen und selbstständig sichere sowie effiziente Routen zu planen.

Die ABB-Industrieroboter werden von der fortschrittlichen Steuerung OmniCore angetrieben, die eine deutliche Senkung des Energieverbrauchs und eine erstklassige Performance ermöglicht.
Autonomen und flexibel einsetzbaren Robotern wird aktuell großes Gewicht beigemessen. Wo liegen die Herausforderungen?
Kullmann:
Eine der größten Aufgaben liegt in der Beherrschbarkeit der Komplexität. Je autonomer ein Roboter agiert, desto mehr Sensorik, Rechenleistung und Softwareintelligenz sind erforderlich – und desto höher wird der Integrationsaufwand in bestehende Produktionsumgebungen. Flexibilität bedeutet zudem, dass Roboter schnell auf neue Aufgaben oder Produktvarianten umgestellt werden können – idealerweise ohne lange Umrüstzeiten oder spezielles Programmierwissen. Das erfordert intuitive Benutzeroberflächen, adaptive Steuerungssysteme und eine starke Einbindung von KI, damit Roboter aus ihrer Umgebung lernen und eigenständig Entscheidungen treffen können.
Ein weiterer Aspekt ist die Sicherheit in der Mensch-Roboter-Kollaboration, insbesondere bei mobilen oder kollaborativen Robotersystemen. Hier gilt es, maximale Produktivität mit dem Schutz von Mitarbeitenden in Einklang zu bringen – durch intelligente Sensorik, präzise Bewegungsplanung und zertifizierte Sicherheitsarchitekturen. ABB Robotics begegnet diesen Herausforderungen mit einer durchgängigen Kombination aus Hardware, Software und digitalen Services. Unser Ziel ist es, die Komplexität hinter der Technologie zu verstecken – und Robotik für alle Unternehmen zugänglich und wirtschaftlich nutzbar zu machen.

Die kollaborativen Roboter von ABB wie etwa GoFa sind für eine Vielzahl von Aufgaben in Betrieben jeder Größe geeignet. Sie sind einfach einzurichten, zu programmieren, zu bedienen und zu skalieren.

Die kollaborativen Roboter von ABB wie etwa GoFa sind für eine Vielzahl von Aufgaben in Betrieben jeder Größe geeignet. Sie sind einfach einzurichten, zu programmieren, zu bedienen und zu skalieren.
Wie kann die oft genannte Hemmschwelle gegenüber Robotern verringert werden, um den Weg für mehr Fachkräfte freizumachen?
Kullmann:
Laut Automatica Trend Index 2025 sehen 75 Prozent der Beschäftigten in Deutschland Robotik als wirksamen Hebel, um Produktionsprozesse zu sichern. Doch klar ist: Der steigende Automatisierungsgrad verlangt nach gut ausgebildeten Fachkräften. Wer Roboter bedienen, programmieren und in Produktionsabläufe integrieren will, braucht fundierte Kenntnisse.
Bislang setzt jedoch nur jede vierte Einrichtung tatsächlich Roboter in der Ausbildung ein. Genau hier setzt unser Engagement an. ABB arbeitet weltweit mit Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten zusammen. Wir bringen so jährlich mehr als 30.000 Lernende mit Robotik in Kontakt. Wir bieten spezielle Education Packages mit Cobots und umfangreiche Kursmaterialien, die echte Industrieanwendungen greifbar machen. Wer also frühzeitig Nutzerinnen und Nutzer von morgen an Robotik und Automatisierung heranführt, legt den Grundstein für die Zukunft. Fachkräfte, die Automation und KI souverän beherrschen, sichern Innovationskraft, Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltiges Wachstum.
Kontakt
Martin Kullmann
Leiter der Robotics-Division
ABB AG
Division Robotics
Friedberg
Tel. +49 6031 85-0
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