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Additive Fertigung
hilft der Zerspanung

Der Dachverband der europäischen Werkzeugmaschinenhersteller Cecimo treibt die Entwicklung der additiven Fertigungstechnologie und die Beseitigung von Barrieren bei deren Nutzung voran. Kooperationen sollen die Entwicklung der additiven Fertigung von einer Lösung für Prototypen hin zur industriell einsetzbaren Technologie unterstützen. Diese Technologie soll als Teil des Produktionsumfelds betrachtet werden, denn sie wird die Zerspanung nicht ersetzen, betont Filip Geerts, Generaldirektor von Cecimo, im Gespräch mit Georg Dlugosch, Chefredakteur des IndustryArena eMagazines.

Cecimo nimmt den Bereich additive Fertigung (Additive Manufacturing, AM) zunehmend in den Blick. Wo sehen Sie aus der Perspektive der Zerspanung das Potenzial für additive Fertigung?

Geerts: Cecimo hat sich dazu verpflichtet, Innovationen bei der Zerspanung, der Umformung und natürlich auch dem industriellen Einsatz neuer Produktionstechnologien wie der additiven Fertigung zu unterstützen. Beim Blick auf die Möglichkeiten der Nutzung entsteht teilweise der Eindruck, dass die additive Fertigung als Ersatz der Zerspanung, Umformung oder Gusstechnik gesehen wird. Das ist jedoch nicht die richtige Herangehensweise. Stattdessen sollte diese Technologie als Teil des existierenden Produktionsumfelds betrachtet werden. Wenn wir additive Fertigung erfolgreich in bestehende Fertigungslinien integrieren wollen, dann müssen wir den Wertbeitrag ins Auge fassen. Meiner Ansicht nach ist diese Veränderung des Blickwinkels entscheidend, um additive Fertigung quer durch alle Branchen zu nutzen.

Wie schätzen Sie Chancen und Gefahren der additiven Fertigung ein?

Geerts: Additive Fertigung eröffnet unzählige neue Geschäftsmodelle, speziell für die Werkzeugmaschinenhersteller. Derzeit hat sie eine Marktnische für leistungsstarke, kleinvolumige Teile in großen, regulierungsgetriebenen Märkten erobert. In diesen Branchen sind gut etablierte europäische Unternehmen aktiv. Sie unternehmen große Anstrengungen, um die auftauchenden Herausforderungen zu bewältigen. So wird beispielsweise die Nachfrage bei medizinischen Geräten in unserer alternden Gesellschaft massiv steigen. Additive Fertigung bietet mittels Personalisierung schnell und kosteneffizient eine große Bandbreite an Produkten für die medizinische Versorgung. Auf ähnliche Weise werden Umweltschutzvorgaben die Luftfahrtkomponentenhersteller verstärkt zu Leichtbaudesign bewegen. Die Stärke der additiven Fertigung bei komplexem, leistungsbezogenem Design – mit optimaler Materialverteilung durch Topologieoptimierung – zieht die Aufmerksamkeit der Luftfahrtindustrie auf sich. Das sind lediglich zwei Beispiele, bei denen additive Fertigung einen beachtlichen Unterschied ausmacht. Die Vorteile können überführt werden in neue Geschäftsmodelle für europäische Hersteller, Software-Entwickler und Pulvermetallurgen. Ich sehe in der additiven Fertigung kein Risiko für die europäische Industrie. Wenn überhaupt, dann besteht das Risiko für Europa darin, den Anschluss an die nächste Innovationsrunde zu verlieren, indem das Potenzial der additiven Fertigung ignoriert wird.

Welche Auswirkung hat additive Fertigung auf die Branche der Werkzeugmaschinen?

Geerts: Spanende Werkzeugmaschinen werden neben additiver Fertigung auf dem Shopfloor koexistieren. Ich sollte hinzufügen: Das tun sie bereits. Nur wenige Teile aus der additiven Fertigung haben ohne Nachbearbeitung die benötigte Oberflächenqualität für Applikationen in hochregulierten Märkten. Wenn man auf die Geschäftswelt schaut, erkennt man immer mehr neue Partnerschaften zwischen Anbietern von 3D-Druck und Herstellern von Werkzeugmaschinen, deren Ziel es ist, integrierte Lösungen auf den Markt zu bringen. Diese Kooperationen signalisieren den steigenden Reiz von additiver Fertigung – auch unter den Herstellern von Werkzeugmaschinen.

Filip Geerts, Generaldirektor von Cecimo. Foto: Cecimo

Wird die Standardisierung in der additiven Fertigung schnell genug vorangetrieben?

Geerts: Aus meiner Sicht ist Standardisierung ein bedeutendes Element für die Industrialisierung additiver Fertigung in Europa. In der jüngsten Vergangenheit konnten wir die zunehmende Einbindung mehrerer Mitwirkender aus der additiven Fertigung in Standardisierungskomitees verzeichnen, und dadurch kam es zu einem großen Schub bei der Entwicklung von Standards. Geschwindigkeit ist bei der Bildung von Standards wichtig. Genauso wichtig ist jedoch die Etablierung von soliden, konsensgetriebenen Standards. Schließlich sollte es auch eine Balance zwischen Quantität und Qualität geben. Noch wichtiger ist es sicherzustellen, dass nicht doppelte Arbeit in die Anstrengungen gesteckt wird. Manchmal stellen wir fest, dass derselbe Aspekt von unterschiedlichen Komitees bearbeitet wird, die ihre jeweils eigene Sichtweise in das Thema einfließen lassen. Entscheidend wird es sein, diese Prozesse zu harmonisieren, und besonders für uns alle zusammenzuarbeiten. Im Jahr 2016 war die Schaffung der gemeinsamen Entwicklungsstruktur für Additive-Manufacturing-Standards von ISO und ASTM International, die den Zusammenhalt bei den AM-Standards gewährleisten, in diesem Sinn hilfreich. Da es einen Mangel an AM-Experten gibt, muss besonders darauf geachtet werden, dass die Ressourcen optimal verteilt sind.

Welche Rolle kann die Europäische Kommission spielen, um Forschung und Entwicklung zu fördern?

Geerts: Wir haben eine stetige Zunahme der EU-Förderung für Forschungsprojekte bei additiver Fertigung in den vergangenen Jahrzehnten erlebt. Allerdings machen auch andere Länder und Regionen in dieser Technologie Fortschritte. Im Dezember 2017 startete China den Maßnahmenplan additive Fertigung als Teil der Langzeitinitiative „Made in China 2025“. Darin war die Gründung eines Forschungszentrums inbegriffen mit dem Ziel, ausländische Unternehmen als Investoren in China zu gewinnen. In den USA steht der öffentlich-privaten Partnerschaftsinitiative „America Makes“ ein Projektvolumen von 115 Millionen Dollar (99,3 Millionen Euro) für Forschung und Personal in der additiven Fertigung für den Zeitraum von sechs Jahren zur Verfügung. Für Europa bleibt es wichtig, mit den Investitionen unserer Wettbewerber Schritt zu halten. Vielleicht muss man auch Überlegungen anstellen, ob die übliche Zeitspanne für EU-Projekte überhaupt für neue Technologien wie die additive Fertigung die richtige ist. Die Maschinen entwickeln sich mit solcher Schnelligkeit, dass die Gefahr besteht, bereits veraltete Erkenntnisse gewonnen zu haben, wenn das übliche EU-Projekt nach drei bis vier Jahren abgeschlossen ist. Eventuell sind kleinere Projekte mit kürzeren Laufzeiten und einem spezifischen Fokus besser geeignet, um die Herausforderungen der additiven Fertigung zu bewältigen.

Gibt es im aktuellen System genügend Raum für Innovation?

Geerts: Gewiss liegt Europas Stärke im soliden Ingenieurswissen. Das spiegelt sich besonders auch bei additiver Fertigung wider. Europa ist global ein Zentrum für Investments in additive Fertigungstechnologien. Der Kontinent beherbergt einige der größten Innovatoren auf diesem Gebiet – von Pulvermetallurgie über die Maschinenentwicklung bis zur endgültigen Nutzung. Mein Rezept, um Innovationen weiter zu fördern und weltweit führend zu bleiben, basiert auf zwei Hauptzutaten. Zunächst müssen wir sicherstellen, dass Hochschulabsolventen die richtigen Fähigkeiten besitzen, um die Komplexität von additiver Fertigung zu beherrschen. Es dauert zu lang, um Lehrpläne an Universitäten zu überarbeiten und damit sicherzustellen, dass additive Fertigung ein Bestandteil der Ausbildung für Studenten ist. Vor kurzem hat Cecimo europäische AM-Fertiger zum aktuellen Qualifikationsstand befragt. Viele hatten das Gefühl, dass das Bildungsangebot für diese Technologie in Europa zu spärlich ist. Wenn das Angebot von additiver Fertigung stärker in die Ausbildung einbezogen würde, könnte es die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials auf allen Ebenen verbessern – vom spezialisierten Designer, der die Vorteile additiver Fertigung bei komplexen Bauteilen nutzen kann, bis zum Techniker und dem Werker auf dem Shop-Floor.

Zweitens muss Europa den Unternehmen, die additive Fertigung für innovative Ideen nutzen, deutlich mehr Finanzierungsmöglichkeiten schaffen, insbesondere während der Scale-Up-Phase. Unglücklicherweise zeigt der Vergleich mit den USA eine große Lücke bei den Risikokapital-Investitionen. Die öffentliche Hand in Europa muss gemeinsame Anstrengungen unternehmen, um das innovative Ökosystem rund um additive Fertigung zu stärken, auch unter Einbeziehung von Teilnehmern aus bereits etablierten Industriebereichen.

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