Hello again!
Eine "amtliche" Definition des Begriffes "Stetigkeit" müßte ich nachschlagen - und das könntest Du eigentlich genau so gut auch selber machen.

Wenn ich 'ne Weile drüber nachdenke, dann komm ich zu dem Schluß, daß man Stetigkeit am besten so erklärt, daß man sie von der "Konstanz" und der "Sprunghaftigkeit" unterscheidet. Angenommen Du fährst mit konstanter Geschwindigkeit dahin und beschließt irgendwann, das Gaspedal nach unten zu treten. Die Geschwindigkeit ändert sich nun nicht sprunghaft von - sagen wir 100 auf 120 km/h, sondern !stetig!.
Stetigkeit wäre demnach (meine Definition) eine nicht-sprunghafte Änderung irgend einer Größe.
Im CAD/CAM-Umfeld ist der Begriff unter verschiedenen Aspekten von Bedeutung.
Einmal bei der Konstruktion hochwertiger Flächen. Die Begriffe Punkt-, Tangenten- und Krümmungsstetigkeit sind ja mittlerweile erklärt, auch wenn's da allgemein oft noch viel Verwirrung gibt. "Krümmungsstetig" heißt, daß vor und nach einem Punkt die gleiche Krümmung vorhanden ist. Andernfalls würde sich Krümmung ja in diesem Punkt sprunghaft ändern, wie in unserem Beispiel "Würfel mit verrundeten Kanten" am Filletrand.
Jedes System - gleich welcher Datenbasis - ist in der Lage, krümmungsstetige Flächen zu erzeugen. Ich kenne eine Ausnahme, da sind die Flächen aus beliebig vielen kubischen Patches (= Flächensegmenten, die über Kurven 3.Grades definiert werden) zusammengesetzt, ohne daß von Patch zu Patch Krümmungsstetigkeit herrschen würde. Aber grundsätzlich ist jede Einzelfläche bzw. jedes einzelne Patch unabhängig vom Polynomgrad krümmungsstetig. Die Schwierigkeiten fangen erst an, wenn man zwei Kurven oder Flächen krümmungsstetig miteinander verbinden will.
Wenn Dein CAD-System beim Erzeugen eines Splines die Kurve in Echtzeit mitzieht, während Du wild im Zick-Zack irgendwelche Stützpunkte pickst, dann siehst Du, daß mit jedem neuen Punkt die gesamte Kurve neu berechnet wird und daß sich auch beim Eingeben des siebten und achten Punktes noch der Verlauf zwischen den ersten beiden jedesmal verändert. Die Aufgabe, eine zweite Kurve krümmungsstetig anzuschließen wäre also gleichbedeutend mit dem Anfügen eines neuen Punktes !ohne! den bisherigen Kurvenverlauf zu ändern.
Was die mathematischen Bedingungen hierfür anbelangt, gibt's die wildesten Behauptungen, die man z.B. andächtig glauben und fortan dumm durch's Internet tuten kann. Man kann ihnen aber auch mit der Hand am Arm mal am heimischen
CAD auf den Zahn fühlen und prüfen, ob sie richtig oder falsch sind. Das Prädikat "so isses" erhält von mir - bezogen auf Bezier-Kurven - nur die Definition von Manfred Weck, der sagt, daß das Verhältnis des Tangentenquadrats zum senkrechten Abstand des folgenden Controlpoints auf beiden Seiten eines Stützpunktes gleich sein muß, damit im Stützpunkt Krümmungsstetigkeit herrscht (siehe Bild).
Damit kann man leben - und damit kann man sogar arbeiten!
Mit dargestellt sind eine quadratische und eine kubische Kurve zusammen mit (skalierten) Radiusstacheln. Man sieht, daß diese Kurven einwandfrei krümmungsstetig sind und daß Krümmungsstetigkeit zunächst mal keine Frage des Polynomgrades ist. Wenn man zwei Kurven jedoch krümmungsstetig miteinander verbinden will, dann kann ein höherer Polynomgrad (= höhere Anzahl von Controlpoints zwischen zwei Stützpunkten) hilfreich sein, um o.g. Bedingung herzustellen.
Stetigkeit ist außerdem noch von Bedeutung im Zusammenhang mit unseren geliebten Fräsbahnen. Da wäre zunächst mal die erste Forderung, daß die Bahn, die ja zunächst mal aus lauter einzelnen Geradenstücken besteht, punktstetig ist - daß also keine Klaffungen zwischen den einzelnen Bahnstücken bestehen. Das ist keineswegs selbstverständlich und dabei können sogar sog. Reverse-Points entstehen, welche die die Maschine voll gegen die Vorschubrichtung noch mal ein paar Hundertstel rückwärts bewegen wollen. Diesen Unsinn auszufiltern ist für die Steuerung wirklich kein leichter Job, und es macht auch längst nicht jede. Wozu auch? Sie soll ja die Bahn, die wir ihr vorgeben ohne vermeidbare Eigenmächtigkeiten am Werkstück abbilden. Also hingucken, reinzoomen und im Zweifel nach einem besseren CAM-System Ausschau halten.
Der nächste Punkt betrifft - abseits vom
CAM - die Dynamik bzw. die Bewegungsführung der Maschine. Im Prospekt hat man vielleicht was über die maximale Achsbeschleunigung gelesen, etwa 0,2g bis hin zu 10g bei Mikrofräsmaschinen. Nach D'Alembert ist Kraft = Masse x Beschleunigung. O.g. maximale Beschleunigungswerte multipliziert mit der zu bewegenden Masse wäre demnach die aus der Bewegung resultierende Vorschubkraft - und das stimmt. Was nicht stimmt, ist daß dies die Dynamik der Maschine limitieren würde!
Stellen wir uns dazu mal 'ne Achterbahn vor, die aus lauter Geraden und Kreisen zusammengesetzt ist, wobei die Kreisradien so gewählt sind, daß keine kritischen g-Werte erreicht werden. Trotzdem wären die Fahrgäste am Ende entweder mausetot oder hätten erhebliche Blessuren davongetragen.
Die erste Ableitung des Weges nach der Zeit nennt man Geschwindigkeit. Sie ist die Änderung des Weges über der Zeit. Die zweite Ableitung heißt Beschleunigung und ist die Änderung der Geschwindigkeit über der Zeit. Die dritte Ableitung, also die Änderung der Beschleunigung über der Zeit, habe ich noch unter der Bezeichnung "Wucht" kennengelernt. Mittlerweile bürgert sich der Begriff "Jerk" - also Ruck oder Stoß dafür ein. Wenn Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist, dann ist "jerk" ein Maß für den Kraftanstieg pro Zeiteinheit - und genau das ist die entscheidende Größe, welche die Dynamik der Maschine limitiert. Es ist die maximale Erschütterung, welche die Maschine aushält. Die Kraft darf also nicht sprunghaft, sondern muß stetig ansteigen. Deshalb gibt's auch oben beschriebene Achterbahn nicht.
Überraschende Erkenntnis aus dieser Überlegung ist, daß eine
Fräsmaschine niemals eine simple Rechtecktasche mit Eckausrundung fertigen kann, weil am Übergang der Gerade zum Kreis die Beschleunigung sprunghaft ansteigen würde. Selbst die alte Deckel hat da schon immer geschummelt - es ist nur nie aufgefallen, weil die Vorschubgeschwindigkeit so gering war. Je weiter die HSC-Technik jedoch voranschreitet, desto mehr wird genau dies ein Problem.
Gruß,
Clemens
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