Vom alten Rennwagen zum neuen Rennwagen: VERICUT holt die Pole Position

Lange bevor eine Rennsaison zu Ende geht, denkt das Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Team bereits über Verbesserungen für den Rennwagen des Folgejahres nach. Im Rahmen dieses komplexen Prozesses wird ein Großteil der Fahrzeugkomponenten neu entworfen. In der Produktion verlässt man sich in hohem Maße auf die Verifizierungs-, Simulations- und Optimierungssoftware VERICUT von CGTech, die seit mehr als zwei Jahrzehnten zu den Kernressourcen des Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Teams im Bereich Produktionstechnik gehört.
Der Prozess zur Entwicklung neuer Fahrzeuge hat sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Vor nicht allzu langer Zeit wurde ein Formel 1-Wagen jedes Jahr einem kompletten Redesign unterzogen, mit Ausnahme von Standardteilen wie Verbindungselementen. Mit der Einführung des Kostendeckels zu Beginn der Saison 2021 änderte sich das. Komponenten, die nicht relevant für die Leistung sind, oder Teile mit schon guter Performance können in die nächste Saison übernommen werden. Heute überträgt das Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Team jedes Jahr eine weit größere Menge an bearbeiteten Fahrzeugkomponenten als vor Einführung der Kostenobergrenze.
Robert Brown, Fertigungsleiter beim Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Team, sagt: „Das hat unsere Arbeitsweise verändert. Sobald wir die Entscheidung getroffen haben, einen Komponententyp zu übernehmen, können wir einen Teil unserer freien 'Sommerkapazität' für seine Herstellung nutzen, was bedeutet, dass wir uns auf die neu entwickelten Leistungsteile konzentrieren können, wenn diese rechtzeitig für die nächste Saison eintreffen."
Berechnung der Kosten
Seit Einführung der Kostenobergrenze ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Konstruktion und Produktionstechnik wichtiger geworden. In der Vergangenheit haben die Konstrukteure einfach das gewünschte Teil entworfen, ohne die Bearbeitungskosten groß zu berücksichtigen.
„Heute ist das anders: Wir können auf eine kleine Konstruktionsänderung hinweisen, die die Bearbeitungskosten beispielsweise um zwei Drittel senken könnte", sagt Brown. „Unser Mitspracherecht im Entstehungszyklus ist viel größer als noch vor ein paar Jahren."
James Peddle, Betriebsingenieur beim Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Team, geht tiefer auf den Prozess ein: „Wenn wir eine neu konstruiertes Leistungskomponente erhalten, beurteilen wir zunächst, wie viele Arbeitsgänge der Bearbeitungsprozess erfordert, um das Bauteil so effizient wie möglich herzustellen. Dann schauen wir uns die Anforderungen an die Spannvorrichtung an und beginnen mit der Programmierung."
Die Luft ist rein
In dieser Prozessphase werden auch ein Arbeitsplan und eine Schätzung der Zykluszeit erstellt, die das Team für einen Kostenvoranschlag verwenden kann. Danach beginnt die Optimierungsphase, in der die Betriebsingenieure versuchen, die Durchlaufzeit noch weiter zu reduzieren. Dabei stützt sich das Team auf Werkzeuge wie das VERICUT Modul für Air Cut-Optimierungen, mit dem sich Zykluszeiten erheblich verkürzen lassen.
„Die Air Cut-Optimierung ist eine sehr sicher anzuwendende Optimierung", sagt Peddle. „Sie lässt die Fräser nicht härter arbeiten und beeinträchtigt auch nicht die Qualität der Teile: Sie reduziert lediglich die Zeit, in der die Fräser nicht in Kontakt mit dem Bauteil sind."
"Um die für die Bearbeitung eines Bauteils benötigte Zeit zu ermitteln, verwenden wir einfach die von VERICUT berechnete Ausgabezeit", fügt er hinzu. „Die Maschinenkinematik in der virtuellen Umgebung von VERICUT ist so beschaffen, dass wir sicher sind, dass die angegebene Zeit mit der tatsächlichen Laufzeit übereinstimmt."
Safety first
Die wirtschaftliche und sichere Herstellung komplexer, neu konstruierter Bauteile ist ohne die Hilfe von VERICUT nahezu undenkbar.
„In erster Linie wäre es unsicher und ausgeprägt arbeitsintensiv", legt Brown dar. „Ich denke, die Zeiten sind vorbei, in denen man einfach die X-, Y- und Z-Koordinaten der G- und M-Codes auf dem Bildschirm ablesen konnte - nicht bei der Komplexität der heutigen Teile. In Spitzenzeiten ist ein Bediener für mehrere Maschinen verantwortlich, auf denen brandneue NC-Programme laufen. Ohne VERICUT einen sicheren Betrieb der Maschinen gewährleisten? Vergessen Sie's."
Peddle fügt hinzu: „Viele unserer Programme haben Millionen von Codezeilen. Wir haben nicht genügend Leute, um das ohne VERICUT Zeile für Zeile durchzugehen. Wir müssten unsere Arbeitskräfte wahrscheinlich verdoppeln."
Nutzung gleicher Daten
Zu den vielen vorteilhaften Funktionen der Software zählt die NX®-Schnittstelle von CGTech, die eine einfache und bequeme Möglichkeit bietet, NC-Programme direkt aus NX – dem beim Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Team eingesetzten CAM-System – zu verifizieren.
Die Schnittstelle kann einzelne CNC-Programme, eine Reihe ausgewählter CNC-Programme oder eine komplette Bearbeitungssequenz prüfen. Alle Informationen zu CNC-Programmen und Werkzeugen werden automatisch an VERICUT übergeben. Konstruktions-, Rohteil- und Vorrichtungsmodelle werden ebenfalls automatisch in ihrer richtigen Ausrichtung übertragen. Der VERICUT Prozess läuft außerhalb von NX ab, sodass die Anwender in der CAM-Software weiterarbeiten können, während das CNC-Programm überprüft wird.
„Die Schnittstelle zwischen NX und VERICUT ist sehr beeindruckend", sagt Peddle. "Wir wissen mit Sicherheit, dass wir exakt das gleiche Szenario simulieren, das in unserer CAM-Sitzung geplant wurde. Außerdem ist die VERICUT Simulation schnell. Selbst bei einem komplexen Teil wie eine Achse mit einer Laufzeit von etwa 45 Stunden dauert es nicht lange, bis wir auf Kollisionen, Verletzungen und überschüssiges Material hin geprüft haben."
Gewicht verlieren
Jedes Jahr scheinen die neu entwickelten Teile des Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Teams eine noch größere Herausforderung darzustellen. Eine Gewichtsreduktion, die die Funktionalität nicht beeinträchtigt, steht im Mittelpunkt vieler Modifikationen.
„Dies ist immer eine Herausforderung für die Betriebsingenieure, die das Bauteil während der Bearbeitung stabil halten müssen", erörtert Brown. „Es kann sein, dass wir spezielle Werkzeuge oder Bearbeitungsstrategien einsetzen und sehr kreativ sein müssen, wenn es darum geht, wie wir bestimmte Merkmale wie beispielsweise das Axialeinstechen tiefer Nuten bearbeiten. Die Möglichkeit, diese Vorgänge zu simulieren und kundenspezifische Werkzeuge in VERICUT nachzubilden, ist wirklich nützlich und gibt uns viel Sicherheit."
Er fährt fort: „Ein Bauteil kann beispielsweise eine sehr dünne Wandstärke durch eine Bohrung aufweisen. Aufgrund des Profils ist es nicht möglich, eine herkömmliche Bohrstange in der Z-Achse eines CNC-Drehzentrums einzusetzen. Wir verwenden daher modifizierte Bohrstangen und bearbeiten die Bohrung in verschiedenen Winkeln. Das ist komplex, aber durch den Einsatz von VERICUT wussten wir, dass es sicher sein würde. Ohne die Software müsste ein erfahrener Bediener an der Maschine sein und auf Dinge wie eine Veränderung der Oberschwingungen achten, um zu verstehen, was im Schnittbereich innerhalb der Bohrung passiert."
Lizenz zum Kreativsein
Abgesehen von den produktionstechnischen Vorteilen bietet der Einsatz von VERICUT beim Mercedes-AMG PETRONAS Formula One Team auch den Entwicklern bemerkenswerte Vorteile.
„Wir bekommen viele Anfragen von Konstrukteuren, die wissen wollen, ob ein neues Bauteil bearbeitbar ist", erklärt Peddle. „Manchmal läuft es auf ein einfaches Ja oder Nein hinaus. Wenn nicht, entwickeln wir schnell einige Werkzeugwege für das Teil und lassen es durch VERICUT laufen. Die Software liefert uns die Antwort und vielleicht sogar ein oder zwei Ideen, wie wir das Teil leichter bearbeiten können. Damit können die Konstrukteure bereits in der Konzeptphase fundierte Entscheidungen treffen.“
Brown fügt hinzu: „VERICUT gibt unseren Konstrukteuren das Vertrauen, kreativ zu sein. Ohne Simulation würden wir sie wahrscheinlich bitten, ihre Kreativität im Zaum zu halten, was die Leistung beeinträchtigen könnte. Aus Erfahrung wissen wir, dass sich VERICUT nicht nur auf die Produktion, sondern auch auf die Konstruktion sehr positiv auswirkt."