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Industrie 4.0 Blog

Industrie 4.0: Traditionelle Konzepte greifen nicht mehr

März 2016
31
Autor: Manuel Löhmann (Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit)
Firma: Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.
Industrie 4.0: Traditionelle Konzepte greifen nicht mehr

„Für einen erfolgreichen Weg ins Zeitalter von Digitalisierung und Industrie 4.0 müssen wir uns von klassischen Managementansätzen und innovationshemmenden hierarchischen Unternehmensstrukturen verabschieden“: Zu diesem Schluss kommt Dr. Heinz-Jürgen Prokop, Geschäftsführer des Ditzinger Werkzeugmaschinenunternehmens Trumpf und Vorsitzender des VDW in Frankfurt am Main, in seinem Gastvortrag „Get connected – Produktion im Wandel“. Anlässlich der Hausmesse bei der Chiron GmbH in Tuttlingen Anfang März betonte er, dass es weniger um bahnbrechende Technologien gehe, sondern um, die neuen Möglichkeiten mit den Fortschritt der vergangenen 20 Jahre für die eigene Firma gewinnbringend zu kombinieren.

Die Idee von der smarten Fabrik werde in den heimischen Betrieben oft von der Sehnsucht nach „Ordnung in einer Zeit des Umbruchs“ genährt, sagt Prokop. Die digitale Transformation werde sozusagen vom Wunsch nach einer Art „neuer Bequemlichkeit“ getrieben. Prokop: „Die Business-Ziele sind bekannt, ein effizienter Prozess ist aufgesetzt, das Team ist aufgestellt und alles läuft wie geschmiert und möglichst autonom. Das ist die Wunschvorstellung jedes Managers.“ Aber diese Sehnsucht nach der „überraschungsfreien Zukunft“ werde auch von Digitalisierung und Industrie 4.0 nicht erfüllt werden können.

Traditionelle Managementtheorien greifen nicht mehr

Industrie 4.0 ist dabei mehr als nur ein Technologie-Umbruch, es ist ein Bruch mit althergebrachten Management-Ansätzen. Prokop stellt die Frage, ob man in einer Welt, die zunehmend unvorhersehbar ist, überhaupt noch klassische Management-Ziele verfolgen könne.

Neben traditionellen Businesszielen werde die permanente Anpassung an sich schnell ändernde Rahmenbedingungen und Anforderungen (Märkte, Technologie, Mitarbeiter, usw.) zur zentralen Managementaufgabe. „Wir brauchen neben einem ‚Management by Objectives‘ immer mehr auch Transformationskompetenzen, sozusagen ein ‚Management by Transformation‘.“

Veränderung ist kein Selbstzweck

Die Veränderung sei dabei freilich nicht Selbstzweck. Der Geschäftserfolg erschließe sich im Spannungsfeld zwischen den „zwei Welten“ Management by Objectives und Management by Transformation. In einem Dreieck von „Explore“, „Transform“, und „Exploit“ müssten immer wieder neue, an die Marktbedingungen angepasste Geschäftsmodelle entwickelt, technisch und organisatorisch realisiert und schließlich wirtschaftlich ausgeschöpft werden, so Prokop.

„Auch von verkrusteten, streng hierarchischen Unternehmensstrukturen müssen wir uns verabschieden und zu einem ‚unternehmerischen Prinzip‘ übergehen, in dem die Belegschaft die nötige Freiheit und die nötigen Anreize für innovatives und kreatives Denken und Handeln vorfindet“, betont der Trumpf-Geschäftsführer.

Dabei nimmt er gerne sein eigenes Unternehmen als Beispiel. Mit der Gründung der Karlsruher Tochter Axoom als Start-up habe Trumpf den Schritt in die digitale Welt auf eine solide Basis gestellt. Laut Prokop ist das Start-up ein selbständiges Unternehmen, das als Geschäftsplattform die Effizienzsteigerung in der Wertschöpfungskette fokussiert. Dabei konzentriere man sich auf das Wesentliche. „Wir bauen keine Software, die keiner braucht“, betont Prokop. Stattdessen wolle man einfache Lösungen für komplexe Prozesse kreieren. Systemlandschaften müssten nicht komplett ersetzt werden, und der Kunde könne Spezialistenlösungen nach Bedarf auswählen. Mit einer digitalen Geschäftsplattform und maßgeschneiderten Bausteinen entlang der Wertschöpfungskette ebnet der IT-Dienstleister den Weg zu Industrie 4.0.

Prokop: „Mit der Gründung von Axoom schauen wir über den eigenen Tellerrand hinaus und machen uns für eine neue digitale, offene Geschäftsplattform stark, die die gesamte Wertschöpfungskette umfasst – und zwar herstellerunabhängig.“ Dies habe auch einen unternehmerischen Sinneswandel im eigenen Hause zur Folge gehabt. Der als eher konservativ und bodenständig bekannte Werkzeugmaschinenbauer, der sich bisweilen an einem mittel- bis langfristigen und vor allem nachhaltigen Innovationsprozess orientiert hat, trifft nun auf einen hippen, jung-dynamischen und IT-getriebenen Counterpart, der schnell agiert und teilweise auf unkonventionellen Wegen zum Ziel kommt. Somit treffen diamentral unterschiedliche Arbeits- und Denkweisen aufeinander. Der Mix aus beidem bringt jedoch gerade in Zeiten von Industrie 4.0 den Erfolg. Darin ist sich Heinz-Jürgen Prokop sicher.

Die Innovation kommt von Kennern, nicht von Managern

Innovationen entstehen laut Prokop eher ‚unten‘ auf der Expertenebene, nicht ‚oben‘ im Management. „Manager haben wir genug. Was uns fehlt, sind Experten. Firmen sind bei den neuen Themen heute vielfach von wenigen Ausnahmekönnern abhängig. Beispiel Big Data und Data Mining: Für die meisten Manager ist das Thema eine Blackbox“, konstatiert Prokop.

Er bricht aber auch eine Lanze für den Mittelstand. Gerade er sei in Sachen Innovation beweglicher als Großkonzerne, da die Distanz zwischen Chefetage und Mitarbeitern schon allein strukturell deutlich geringer sei. Prinzipiell gilt es, die Frage zu klären, von wem Innovationen erwartet werden können, vom Management oder von Mitarbeiter? „Meiner Erfahrung nach ist es ein Wechselspiel. Die Mitarbeiter werden stark eingebunden, aber es liegt dann doch auch am Management, eine Strategie vorzugeben“, so Prokop.

Neue Prozesskultur gefragt

Eine Gefahr bei der Umsetzung von Industrie 4.0-Projekten sieht Prokop in einer (unnötigen) Komplexitätserhöhung bei Technik und Prozessen. „Es gibt ein Spannungsfeld zwischen ‚Technologiegeilheit‛ und tatsächlichem Nutzen zur Effizienzsteigerung. Analog zum Ansatz von ‚Lean Management‘ sollte nur dort Kommunikationstechnologie eingesetzt werden, wo sie unbedingt notwendig ist.“ Der Prozess definierte nach Prokop vielmehr den Bedarf an IT. Generell fordert er jedoch eine „neue Prozesskultur“ in Unternehmen, um Prozesse so zu gestalten, dass sie sich autonom selbst verändern, wenn es der Markt oder die Kundenbedürfnisse erfordern.

Mitarbeiter 4.0: Qualifizierungsniveau auf höherer Ebene

Prokop betont zudem, dass durch den steigenden Vernetzungsgrad deutlich mehr Berührungspunkte zwischen CIOs und IT-Fachkräften, Fachabteilungen und Geschäftsentscheidern entstehen, die es zuvor in dieser Form nicht gab. Von der Entwicklungs- bis zur Marketing-Abteilung ist in Zukunft eine enge Abstimmung im gesamten Unternehmen notwendig, was er plastisch am eigenen Arbeitsalltag darstellte. Die veränderte Kommunikation eröffnet neue Chancen: Um kontinuierlich und schnell Lernkurven auszubilden, müssen Mitarbeiter abteilungs- und hierarchieübergreifend ihre Erfahrungen mit neuen Produkten, Materialien und Technologien austauschen und ihr Feedback zur entsprechend relevanten Stelle geben können. So können schnell neue Ideen generiert und umgesetzt werden.

Auch das Qualifizierungsniveau der Mitarbeiter ändert sich nach Aussage Prokops, denn die Anforderungen aufgrund der Komplexität der Systeme steigen. Unternehmen benötigen einerseits kompetentes Personal, das dieser Herausforderung gewachsen ist. Andererseits vereinfacht die Technologie industrielle Prozesse und Handgriffe und hilft sogar, durch einen höheren Grad an Automatisierung den drohenden Fachkräftemangel in Teilen zu kompensieren und so Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland auf Dauer zu gewährleisten.

Eine weitere neue Form der Zusammenarbeit sind so genannte Communities of Practice, also praxisbezogene Arbeitsgruppen, die den funktionsübergreifenden Austausch im Unternehmen pflegen. Auf diese Weise können beispielsweise die Erfahrungswerte von Gruppenteilnehmern aus der Produktion zu verbesserten Abläufen führen. Oft kommen auch Verbesserungsvorschläge für Produkte oder für die Fertigung von Kunden oder vom Vertrieb. Communities of Practice bieten eine Möglichkeit, unterschiedliche Informationen schnell als Feedback an die Entwicklungs- oder Arbeitsvorbereitungsabteilung zurückzuspielen, erklärt Prokop.

Fabrik von morgen ist nicht menschenleer

Der Aussage, dass unter Industrie 4.0 die Fabrik der Zukunft menschenleer sei, erteilte Prokop eine Absage. „Wichtige Entscheidungen im Produktionsprozess treffen auch künftig Menschen. Daran wird auch Industrie 4.0 nichts ändern“, so Prokop. Was sich jedoch verändern wird, ist die Qualifikation von Mitarbeitern. Gewinner dieser Entwicklung sind vor allem Hochqualifizierte, die überall gebraucht werden. Einfache manuelle Jobs in der Fertigung und Fabriklogistik könnten wegfallen. Gefragt sind hingegen zunehmend hochqualifizierte und spezialisierte Mitarbeiter wie Software-, Verfahrens- oder Prozessingenieure. In den Bereichen entstehen zusätzliche Jobmöglichkeiten und neue Arbeitsprofile. „Aber die Arbeitswelt im Werkzeugmaschinenbau wird auch in der Zukunft noch stark von manuellen Tätigkeiten und dem Zusammenfügen von Teilen geprägt sein. An einer Werkzeugmaschine muss einfach geschraubt werden. Daran führt kein Weg vorbei“, erklärt Prokop. Seiner Ansicht nach könne das Ziel nicht sein, Produktionsmitarbeitern flächendeckend IT-Kompetenz zu verordnen. Vielmehr müssten die Systeme in ihrer Komplexität so gestaltet sein, dass sie für den Mitarbeiter im Alltag hilfreich sind.

In seinem Fazit betont Prokop, dass in Summe die Vorteile der digitalen Produktion - wie steigende Qualität und Effizienz, flexiblere sowie schnellere Abläufe - klar überwiegen und alle Unternehmen in der deutschen Werkzeugmaschinenindustrie gut beraten seien, an einem Strang zu ziehen und gemeinsam den Weg in die vernetzte Zukunft zu gehen. Damit dies jedoch auch gelingt, sei an vielen Stellen ein Umdenken in der Unternehmenskultur nötig, fordert er.

 

Bildquelle: Fotolia/Coloures-pic

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