Roadshow Forschung am Institut für Werkstofftechnik der Universität Kassel
Mitte November trafen sich auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik des VDMA Experten aus Industrie und Wissenschaft am Institut für Werkstofftechnik (IfW) der Universität Kassel, um sich intensiv zu Themen rings um werkstofftechnische Fragestellungen in der Medizintechnik auszutauschen und die Forschungsaktivitäten des IfW kennenzulernen.
Das IfW besteht aus drei Fachgebieten, die sich vorrangig mit Verarbeitung und Prüfung von Metallen und Kunststoffen beschäftigen. Diese Kombination der Werkstofftechnik in einem Institut bietet eine interdisziplinäre Zusammenarbeit im Bereich der Prüftechnik und in dem immer weiter steigenden Bedarf an Metall-Kunststoffverbunden (Hybridbauteile). Darüber hinaus besteht mit dem angegliederten Anwendungszentrum UNIpace eine enge Zusammenarbeit mit dem Medizintechnikunternehmen B. Braun Melsungen AG in Melsungen.
In mehreren Beiträgen wurden Entwicklungen zur Charakterisierung von metallischen und kunststofftechnischen Bauteilen, der Verarbeitung von Flüssigsilikonen (LSR) sowie zu zukunftsorientierten Fertigungsverfahren im Bereich der Kunststofftechnik für Medizinprodukte aufgezeigt.
Additive Fertigung hat auch ihre Grenzen
Nach der Begrüßung und Institutsvorstellung durch Prof. Dr.-Ing. Hans-Peter Heim, dem geschäftsführenden Direktor des IfW, berichtete Prof. Berthold Scholtes vom Fachbereich Metallische Werkstoffe über optimierte Bauteilrandzonen für zuverlässige Komponenten. Das Hauptaugenmerk richtete er dabei auf charakteristische Oberflächeneigenschaften der eigentlichen Randzonen sowie auf die Eigenspannungen in Werkzeugen und Bauteilen bei thermo-mechanisch gekoppelten Umformprozessen.
Anschließend beleuchtete Prof. Thomas Niendorf, ebenfalls vom Fachbereich Metallische Werkstoffe, die mechanische Prüfung von additiv gefertigten Strukturen, die durch selektives Laserschmelzen (SLM) bzw. Elektronenstrahlschmelzen (EBM) erzeugt wurden. Als Ergebnis der Prüfungen kam deutlich zum Ausdruck, dass bei allen neuen Möglichkeiten der additiven Fertigung, die Gestaltungsrichtlinien unbegrenzte Fertigungstiefen verbieten. Kurz zusammengefasst kann unter diesem Hintergrund auch für die additive Fertigung festgestellt werden: „Vieles geht, aber nicht alles!“
Kostenersparnis durch wandlungsfähige Fertigungsysteme
Was unterscheidet Kennwerte von Werkstoffen und Kennwerte von Bauteilen? Dieser Frage folgend erläuterte Prof. Angelika Brückner-Foit vom Fachbereich Qualität und Zuverlässigkeit, anhand verschiedener Versuchsmodelle das Prüfen von Grundwerkstoffen und geformter Bauteile. Ziel der Prüfverfahren ist es, Schädigungen im Gefüge von Proben und deren Wechselwirkungen zu ermitteln, sowie das lebensdauerbestimmende Risswachstum festzustellen. Werkstoffkennwerte werden dabei üblicherweise mit Normproben ermittelt und man erhält in der Regel Kennwerte, die dem Anlieferungszustand entsprechen. Aus fertigen Bauteilen lassen sich aufgrund geometrischer Gründe jedoch meistens keine Normproben entnehmen. Am IfW wurde deshalb eine Prüfprozedur entwickelt, in der direkt aus dem Bauteil entnommene Proben verwendet werden, die auch bei kleineren Kräften noch verlässliche Werte lieferen.
Über wandlungsfähige Fertigungsysteme in der Kunststoffverarbeitung und deren Bedeutung bei der Fertigung in so genannten Hochlohnländern berichtete anschließend Florian Mieth vom Fachbereich Kunststofftechnik. Dabei wird über die Abbildung von Steuerungskonzepten der notwendige Grad der Wandelbarkeit anhand von Trends, Sonderfällen und dem Produktlebenszyklus ermittelt. Durch entsprechende Flexibilität und Rekonfigurierbarkeit können somit beispielsweise Auswirkungen auf Stückzahl, Kosten, Zeit und Qualität erreicht werden. Neben einer schnellen Realisierbarkeit beim Umgang mit unvorhergesehenen Änderungen bietet dieses Verfahrens zudem den großen Vorteil, dass ein Großteil der Kosten erst nach der Umsetzung entsteht.
Steigender Bedarf an Health Care durch den demografischen Wandel
Dr. Stefan Roth, Head of Material Science der B. Braun Melsungen AG, stellte in seinem Vortrag über Innovationen in der Infusionstherapie, Treiber und Perspektiven aus der Sicht eines Medizintechnikherstellers vor. Der durch die demografische Entwicklung sich verändernde und steigende Bedarf an Gesundheitspflege erfordert effiziente Abläufe und kostenorientierte Prozesse. Anhand von Beispielen erläuterte Roth, dass durch Innovationen, beispielsweise im Bereich der Materialien, dem Design, der Sicherheit oder auch durch verbesserte Prozesse, Nutzen sowohl für den Hersteller als auch für Anwender und Patienten geschaffen werden kann.
Beim abschließenden Rundgang mit Besichtigung der Forschungslabore des IfW und des zusammen mit der B.Braun Melsungen AG ins Leben gerufenen Anwendungszentrum Kunststoffverarbeitung UNIpace konnten sich die Teilnehmer ausführlich über die wissenschaftlichen und praxisbezogenen Forschungsgebiete sowie die technische Ausstattung des Institutes informieren.
Die Roadshow Forschung der Arbeitsgemeinschaft Medizintechnik des VDMA wird auch zukünftig in regelmäßigen Abständen an den Standorten der Mitgliedsinstitute fortgeführt. So soll den Instituten die Gelegenheit gegeben werden, sich und ihre Dienstleistungen, Forschungsfelder und Projekte vorzustellen. Für die Teilnehmer bietet sich dabei die ideale Möglichkeit, sich vor Ort mit Wissenschaftlern intensiv auszutauschen und gemeinsame Projekte anzustoßen.