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Indiens Aufschwung – Mehr Wunsch als Wirklichkeit

April 2015
17
Autor: Gerhard Hein (Abteilung Wirtschaft und Statistik)
Firma: Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V.
Indiens Aufschwung – Mehr Wunsch als Wirklichkeit

Mit dem Regierungswechsel 2014 ging ein Ruck durch Indien, was sich auch die aufgehellte Stimmungslage breiter Wirtschaftskreise belegt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass sich mit der National Democratic Alliance Coalition (NDA), eine fortschrittsorientierte Gruppierung, mit absoluter Mehrheit im politischen System durchsetzen konnte. Statistischen Erhebungen zufolge soll das reale Bruttoinlandsprodukt unter diesen Vorzeichen im ersten Quartal 2015 leicht auf 5,7 Prozent Wachstum angezogen haben. Sehr ambitionierte Projekte des populären Premierministers Narendra Modi sorgen für große Erwartungen an die neu gewählte Führung. Zeit für eine Zwischenbilanz der bisherigen Entwicklung: Die künftige Entwicklung des Landes hängt entscheiden davon ab, inwieweit sich die angestrebten Ziele und Maßnahmenkataloge der Politik umsetzen lassen und dauerhaft Wirkung zeigen.

 

Wichtigster Ansatzpunkt der neuen indischen Regierung ist, das schwache Verarbeitende Gewerbe des Landes für den Weltmarkt wettbewerbsfähig zu machen. Geringe Produktions- und Investitionstätigkeit bereitete lange Sorge. Das stark eingetrübte Investitionsklima resultiert in erster Linie aus zumeist nicht oder nur unzureichend umgesetzten Reformen. Angekündigt waren beschleunigter Infrastrukturausbau, insbesondere im Bahnverkehr zwischen Delhi und Mumbai. Auch die Ausweisung von Sonderwirtschaftszonen nach chinesischem Vorbild wurde offen diskutiert, jedoch bislang noch nicht in Angriff genommen. Aber auch Themen wie Effizienzsteigerung des Regierungsapparats, Stärkung der beruflichen Bildung und Sanierung des Gesundheitssystems standen auf der politischen Agenda. Der traditionell hohen Inflation, die sich auf einer Teuerungsrate von fast 10 Prozent bewegte und nach amtlicher Aussage im Oktober 2014 deutlich auf unter 6 Prozent gesunken ist, wurde überdies der Kampf angesagt. Fallende Rohöl- und Nahrungsmittelpreise wirken stabilisierend und spielen der neuen Regierung in die Hand. Indiens Zentralbank hingegen hat das hohe Zinsniveau trotz lautstarker Forderungen aus Wirtschaft und Politik im Interesse der Preisniveaustabilisierung bislang noch nicht gesenkt.

Nach Angaben des Centre for Monitoring Indien Economy (Cmie) sind im Fiskaljahr 2013/2014 anzahlmäßig rd. 28 Prozent weniger Projekte neu angekündigt worden. Parallel legten Staat und Privatunternehmen mehr als 19 Prozent der bereits bekannten Vorhaben auf Eis oder gaben sie vollständig auf. In den ersten sechs Monaten des laufenden Fiskaljahrs hat man erneut rd. 12 Prozent weniger neue Vorhaben als im Referenzzeitraum konstatieren müssen. Die Rupie hat sich nach drastischem Wertverlust als Folge hoher Kapitalabflüsse mit Höhepunkt zur Jahresmitte 2013 wieder leicht erholt, was importabhängigen Branchen wie der Energieversorgung mit ihrer Abhängigkeit von Kohle-, Öl- und Gaseinfuhren hilft.

 

Neue Regierung hat zahlreiche Projekte in der Pipeline

Neben den bereits genannten klassischen Aktionsfeldern Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen und Staatsapparat sind weitere Reformschritte zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angestoßen worden. Darunter fallen die Digitalisierung von Genehmigungsprozessen für in- und ausländische Firmen, mehr Transparenz im Arbeitsrecht sowie Lockerungen im Richtlinien-Dickicht für ausländische Direktinvestitionen. Diese sind vor allem auf den Eisenbahnsektor, das Bauwesen und den Bereich der Verteidigung bezogen. Weiterhin stehen jedoch Maßnahmen wie die Vereinfachung des Landerwerbs und die Einführung einer einheitlichen Waren- und Dienstleistungssteuer (Goods and Services Tax) noch aus. Ein Leuchtturm-Projekt der neuen Regierung ist die Kampagne „Make in India“, abzielend auf in- und ausländische Investoren und gedacht als Aufruf zu Produktion in Indien. Das Konzept zielt auf eine Stärkung des industriellen Sektors, der momentan für lediglich 13 bis 15 Prozent Anteil am BIP steht. Zielgröße ist eine angestrebte Rate von 25 Prozent.

 

Werkzeugmaschinennachfrage sendet unmissverständliche Signale

Wie unter einem Brennglas fokussiert erscheint die aktuelle, durch Wachstums- und Investitionsschwäche und Investitionsschwäche geprägte Befindlichkeit Indiens beim Blick auf die Export- und Auftragseingangsentwicklung deutscher Werkzeugmaschinenhersteller. Seit 2011 hat sich hier das Ausfuhrvolumen nach Indien nahezu halbiert. Übrig geblieben sind gerade 147 Mio. Euro. Dies nach Minusraten von 6 Prozent (2012), 15 Prozent (2013) und schließlich 30 Prozent im vergangenen Jahr, als der Anteil am Gesamt-Exportwert auf gerade noch 1,6 Prozent weiter zurücklief. Spricht man dem Auftragseingang als Indiz für den Geschäftsgang in näherer Zukunft eine bessere Eignung zu, lautet das Stichwort ebenfalls „Halbierung“. Lediglich die Einbußen zwischen 2012 und 2014 stellen sich mit 11 Prozent, 39 Prozent und weiteren 11 Prozent unterschiedlich in ihrer Abfolge dar. Auch der Anteil am gesamten Nachfragevolumen des deutschen Werkzeugmaschinenbaus liegt sogar noch zwei Zehntel unter dem zuvor genannten exportbezogenen Prozentsatz.

 

Vorschuss-Lorbeeren durch Marktanalysten

Auch das britische Marktforschungsunternehmens Oxford Economics zeichnet für Indien eine relativ optimistische Vorausschau. Demnach erwartet das Institut für die Jahre 2015 und 2016 gleich zweimal eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes von 7,5 Prozent. Die Industrieproduktion soll um mehr als das Dreifache auf 4,8 Prozent im laufenden Jahr wachsen. Für 2016 wird eine neuerliche Steigerung auf mehr als 7 Prozent prognostiziert. Bei den Anlageinvestitionen der wichtigsten Anwenderindustrien für Werkzeugmaschinen sagt Oxford Economics eine zweimalige Aufstockung um bis zu 13 Prozent voraus. Dies könnte zur Ausweitung des Werkzeugmaschinenverbrauchs um fast 8 Prozent (2015) bzw. leicht über 9 Prozent in 2016 führen.

Innerhalb des Kreises der schon erwähnten Hauptkundenbranchen sind der Automobilbau und seine direkten Zuliefersektoren 2015/2016 mit um jeweils 16 bis 17 Prozent erhöhten Anlageinvestitionen gesetzt. In 2014 lag deren Aufkommen bei 4,9 Mrd. US-Dollar. Die Kfz-Industrie Indiens erholt sich in einzelnen Segmenten langsam vom starken Rückgang der Inlandsnachfrage im vergangenen Fiskaljahr. Nutzfahrzeuge hingegen befinden sich nach wie vor in der Krise. Positiv wirken sich die erhofften Preissenkungen für Kraftstoffe aus.

Das Kundensegment „Other Means of Transport“, mit den Schwerpunkten Schienenfahrzeuge und Luftfahrt sowie einem Volumen von 2,9 Mrd. US-Dollar in 2014, soll sogar auf 13 Prozent Ausweitung (2015) bzw. 16 Prozent Zuwachs (2016) kommen.

Für den Anlagenbereich des Maschinenbaus in engerem Sinne (ohne Systemkomponenten, Volumen 2014: 1,7 Mrd. US-Dollar) sind 16 bzw. 8 Prozent höhere Investitionsbudgets für das laufende und kommende Jahr verbucht. Die Kunden des indischen Maschinenbaus zeigen keinen durchgängigen Aufwärtstrend: Bergbau und Landwirtschaft entwickeln sich schleppend, positive Signale kommen hingegen aus der Automobilindustrie. Während die Textilbranche vermehrt auf Export setzt, zog die Bauwirtschaft zuletzt ebenfalls an. Aber auch die exportorientierte Nahrungsmittelverarbeitung sowie die Verpackungsindustrie profitieren von florierender Ausfuhr und sich belebender Inlandsnachfrage.

Die Elektrotechnik/Elektronik (einschließlich Equipment für die Energieerzeugung, Volumen 2014 von 1,8 Mrd. US-Dollar) notiert mit 11 Prozent und knapp 9 Prozent erwarteter Aufstockung in genannter Prognose. Gemäß dem laufenden Fünfjahresplan - 2012 bis 2017 - sollen unter starker Beteiligung des Privatsektors im Energiebereich zusätzliche Kapazitäten für etwa 90 Gigawatt Leistung entstehen. Die Anteile erneuerbarer Quellen, wie etwa Solarenergie, will die indische Regierung kontinuierlich anheben.

 

Wunschvorstellung versus mutlose Haushaltsplanung

Für Indien gilt das Credo: Höhenflüge sind fürs Erste beendet, zurück auf den Boden der Realität! Der erste Etat der neuen Regierung Modi lässt nach Bewertung durch die Frankfurter Allgemeine Zeitung kaum etwas von den verkündeten Großvorhaben übrig:

  • Was ist von den erhofften Strukturreformen in der Steuerpolitik und den milliardenschweren Mehrausgaben zur Eindämmung der Engpässe im Bereich der Verkehrswege geblieben?
  • Die Einführung der Mehrwertsteuer wurde auf April 2016, das Erreichen der Etat-Defizitgrenze von 3 Prozent, gemessen am BIP, auf 2018 verschoben.
  • Ratingagenturen stufen diesen ersten Haushalt bestenfalls als „neutral“ für Indiens Kreditwürdigkeit ein, da vollkommene Abhängigkeit von zweifelhaft bemessenem Wirtschaftswachstum erhalten bleibe.
  • Während Privatisierungsprozesse nur schleppend in Gang kommen, stellt man mehr als 40 Mrd. US-Dollar für militärische Beschaffungsmaßnahmen ein.
  • Die positiven Wachstumsprognosen selbst beruhen auf umgestellter Berechnungsmethodik, bei gängiger Saldierung von Einzelpositionen bleibt Indien weiter hinter dem Konkurrenten China zurück.
  • Trotz Kostensenkung für Energieträger und somit rückläufiger Teuerung rechnet die Zentralbank mit fortgesetzter Inflation in der Größenordnung von 6 Prozent.
  • Zwar soll die Unternehmensbesteuerung innerhalb von vier Jahren von 30 Prozent auf 25 Prozent abgesenkt werden, doch der durchschnittliche Unternehmenssteuersatz in Asien notiert laut Kpmg mit knapp 22 Prozent – also kein großer Wurf.
  • Auch der Protektionismus qua Einfuhrzollanhebung zu Gunsten der heimischen Stahlindustrie signalisiert wenig Selbstvertrauen.

Es dürfte somit nur eine Frage der Zeit sein, bis die indischen Wahlbürger für ihr Wohlwollen verbesserte Lebensqualität einfordern. Seit vielen Jahren verknüpft die Wirtschaftswelt mit Indien Hoffnungswerte. Warum aber sollte der Subkontinent diese unter den neuen - gefährlich bekannt wirkenden - Vorzeichen in den kommenden beiden Jahren einlösen können?

Diskutieren Sie mit uns! Auf welchem Entwicklungspfad sehen Sie den „Weißen Elefanten“? Wirkt die junge Bevölkerung – 70 Prozent der Inder sind unter 30 Jahre alt – als Treiber oder Bürde? Müssen doch neue Arbeitsplätze in zweistelligem Millionenbereich pro Jahr in Industrie, Bausektor und Dienstleistung geschaffen werden!

 

Bildquelle: fotolia/L_Katmy

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